Wanderfalke und Pestizide
Die Biologin Rachel Carson machte erstmals 1962 in ihrem Werk «Silent Spring» einer breiten Öffentlichkeit bekannt, was der sorglose Einsatz von Insektiziden, Herbiziden und Fungiziden für Folgen haben kann. Unter anderem wies sie darauf hin, dass das Insektizid DDT – eine Erfindung von einem Angestellten der J. R. Geigy AG, Paul Hermann Müller, dem dafür 1948 der Medizinnobelpreisträger verliehen wurde – in die Nahrungskette von Greifvögeln gelangt und unter anderem die gelegten Eiern dünnere Schalen haben, was sich schlecht auf die Fortpflanzung auswirkt. Mit ihrem Buch stiess Carson eine umweltpolitische Diskussion an, die schlussendlich im Verbot von DDT mündete.
Aus Sicht des Vogelschutzes kam das DDT-Verbot 1972 in der Schweiz gerade noch rechtzeitig. Der vom DDT schwer getroffene Wanderfalke war damals lokal bereits ausgestorben. Der Bestand erholte sich nachher nur langsam und erreichte in den 90ern wieder einen Höchststand von rund 40 Brutpaaren.
Die Geschichte des DDTs führt eindrücklich vor Augen, was Pestizide anrichten können. Ursprünglich erfunden, um die intensiv bewirtschafteten Monokulturen vor Schädlingen zu schützten, treffen sie auch in hohem Masse andere Tier- und Insektenarten.
Gerade in kleineren Fliessgewässern der Schweiz konnte das EAWAG in einer Langzeitstudie bedenklich hohe Pestizidbelastungen nachweisen, die in über 70% der Beobachtungszeit über den Grenzwerten lagen. Solch starke Belastungen haben schädlichen Einfluss auf die Arten im Fliessgewässer. So zum Beispiel auch auf den Bachflohkrebs, wie Florian Altermatt im SRF-Tagesgespräch erklärte.
Insekten und Pestizide
In seinem Faktenblatt resümieren die Akademien der Wissenschaften Schweiz, dass neben Habitatverlust, die Verschlechterung der übrigbleibenden Lebensräume Ursache für den grossflächigen Insektenschwund ist. Sie schreiben: «Breitband-Insektizide […] und Pestizide im Generellen, die in der Landwirtschaft weit verbreitet und punktueller auch in Privatgärten und der Grünflächenpflege eingesetzt werden, töten nicht nur die Zielorganismen, sondern auch sehr viele Nützlinge (Bestäuber, natürliche Feinde von Schädlingen). Der übermässige Einsatz von Insektiziden und anderen Pestiziden wird als eine wichtige Ursache des Insektenrückgangs angesehen.»
Der Insektenschwund ist dramatisch. Eingeschlagen hat die Erkenntnis nach der Veröffentlichung der Krefelder Studie. Dort wurde in Naturschutzgebieten die Masse der Insekten über mehrere Jahrzehnte untersucht. In den 63 untersuchten deutschen Schutzgebieten wurde zwischen 1989 und 2016 ist ein Rückgang von 76 Prozent (im Hochsommer bis zu 82 Prozent) der Fluginsekten-Biomasse festgestellt. Es spricht vieles dafür, dass diese Grössenordnung der Abnahme auf ganz Mitteleuropa angewendet werden kann.
Kulturlandvögel und Pestizide
Insekten wiederum bilden Nahrungsgrundlage für viele Vogelarten. Bei langstreckenziehenden Insektenfressern sind vom Insektenschwund besonders betroffen. Aber auch für viele Körnerfresser sind die eiweissreichen Insekten während der Jungenaufzucht im Frühling die einzige und ausschliessliche Nahrungsquelle. So zum Beispiel auch der Steinkauz – Vogel des Jahres 2021. Er hat gerne grosse Insekten, sprich Heuschrecken, Grillen, Käfer etc. Ausreichend grosse Insekten gibt es aber heute nur noch, wo Eintrag von Dünger und Pestiziden stark eingeschränkt wird.
Bezeichnenderweise aber ist nicht jeder Insektenfresser gleichermassen vom Insektenschwund betroffen. So nahmen die Waldvögel unter den Insektenfresser seit 1990 zu, während die Kulturlandvögel unter den Insektenfresser um 60% zurückgingen! Das ist ein starkes Indiz dafür, dass die Landwirtschaft einen erheblichen negativen Einfluss auf den Artenschwund im Kulturland hat. Bis heute setzt sich der Negativtrend leider ungebrochen fort.
Es ist klar, dass nicht einzig Pestizide ursächlich sind, sie sind aber eine notwendige Säule im System, die erst eine solch intensive Bewirtschaftungsweise in reinen Monokulturen ermöglicht. Wie dramatisch der Rückgang an Leben in unserem Kulturland ist, sind sich die meisten nicht bewusst. Das liegt daran, dass wir die Welt im Höhepunkt der Artenvielfalt im Kulturland nie kennenlernen konnten. Nur die Grosselterngeneration kann – wenn sie bereits in ihrer Kindheit Vögel beobachtet hat – erahnen, wie es einmal gewesen sein muss. Der Film «Das Schweigen der Vögel» geht dieser wenig beachteten und schleichend fortschreitenden Entwicklung nach.
Fazit
Nach fast hundert Jahren Pestizideinsatz ist ein nüchternes Fazit aus den Langzeitdaten zu ziehen. Nach dreiviertel weniger Insektenbiomasse in Schutzgebieten, Pestizid-Cocktails und Grenzwertüberschreitungen in Fliessgewässern und Rückstände in unserem Grundwasser müssen wir uns fragen, ob wir weitermachen können wie bisher oder ob Kosten und Risiken des Pestizideinsatzes überwiegen. Schlussendlich steht der Mensch nicht nur in Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen, sondern auch gegenüber seinen Mitkreaturen. Mit dem DDT-Verbot kam der Wanderfalke zurück, wenn auch zögerlich. Lässt der Mensch es heute zu, wird auch wieder mehr Leben ins Kulturland zurückkommen. Es ist Zeit dafür.